Die Erde
Maria Antonia Romero Durán
Übersetzung: Maria del Pilar Tritta Romero
Überwältigt vom Gestirn der Sonne,
deren Balance von Wärme und Licht ich brauche,
tanze ich schwebend im All um sie herum und
gestalte so die vier Jahreszeiten und auch die
Nacht und den Tag. In der Umlaufbahn folgt mir
mein Mond wie ein Satellit, der durch seine
umfassende Umkreisung um mich herum sein wechselndes
und magisches Aussehen erhält.
Als Einheit schweben wir, wie drei überirdische
Wesen sanft und ruhig durch das meisterhafte
Universum, gemeinsam mit den Planeten und Sternen,
die unser Solarsystem bilden.
Mein fruchtbarer Schoß ernährt die zahlreichen
Lebewesen, die meine Biosphäre bevölkern und
gewährt ihnen Unterschlupf, Menschen, Tieren
an Land, im Wasser und in der Luft. Wir existieren
miteinander in einer perfekten Symbiose. Ich
ernähre mich von all jenem, was ihre Körper
abwerfen, vom Kot bis zu den Tränen, ich schlucke
sogar ihre leblosen Reste, die ich gleichzeitig
in Dünger umwandle, um dann wieder die Nahrung
zu schaffen, die diese Lebewesen brauchen. Ich
bin die große MUTTER ERDE, die es vermag. den
Tod in Leben umzuwandeln. Mir sind die unerlässlichen
Mächte innewohnend, die die wunderbare Geschichte
von Gemeinsamkeit und gegenseitigen Respekt
ermöglichen.
Mit der Unterstützung der Wärme der Sonne verdunsten
meine Gewässer – reinigende Lungen – um Wolken
zu bilden, die später aufgrund unterschiedlicher
Temperaturschwankungen - je nach Sonneneinstrahlung
- Regen, Schnee oder Hagel über mich ausschütten.
Mit welchem Genuss sauge ich die Feuchtigkeit
auf, die in meine trockenen Poren eindringt
und meine Haare benetzt, es sind die Äste der
Bäume, deren Blätter sich nach unten neigen,
das Wasser bis in jeden Winkel leitend, Samen
produzierend, die der Wind hier und da ablegt,
wo sie dann keimen. Ich nutze den letzten Tropfen
aus, der vom vereisten Berg herunterkommt, durch
Täler gleitet, über wasserabweisende Blütenblätter
streicht, bis er zu einem kleinen Beet gelangt,
wo er von der Wurzel einer bescheidenen Tomate
eingefangen wird.
Ich besitze unendlich viel Kraft, die es mir
ermöglicht, mich überall hartnäckig anzuklammern,
seien es in der singenden Strömung von Bächen
untergetauchte Steine, seien es alte Dachziegel,
die Geschichten verlassener Häuser erzählen,
oder felsige Höhlen, wo ich mich von Wind oder
Wasser anhäufen lasse, um Pflanzen Halt zu geben,
die die Sonne suchen und meine Fruchtbarkeit
genießen.
Mein Lebensdrang kennt kein Hindernis, sogar
zwischen Ziegelmauern bereite ich das Beet für
zarte Stengel, die sich auf dem Geringsten,
was sie finden, entfalten.
Der Wunsch, aufzusteigen - wie geflügelte Schwalben
– hat manche kletternde Pflanzen mit winzigen
Füßchen ausgestattet, mit denen sie sich an
senkrechten Mauern oder Zäunen anklammern können.
Doch bekunde ich auch ununterbrochen meine Macht,
indem ich alle Körper zu meiner Mitte hin anziehe,
die sich mir widerstandslos übergeben.
Zu Mittag, wenn die Sonne von oben, mit entflammtem
Eifer furchtlos auf mein allumfassendes Gesicht
blickt, wenn sie ihre glühenden Strahlen über
meine – durch den Pflug oder die Habsucht –
aufgebrochenen Felder schickt, seufze ich glücklich
über jeden Windhauch. Wenn die Vögel zum Flug
ansetzen, die Samen in meinem Inneren fruchtbar
werden, dann fühle ich eine solche Lust, dass,
zusammen mit der zarten Massage menschlicher
Füße, die barfuß am Meeresufer entlang laufen,
dem Kitzeln der Hufe von Tieren, die schnell
über meine Ebenen galoppieren oder mit dem Wirbel
der Winde, all dies aus meinem unerschütterlichen
Schicksal ein süßes Vergnügen macht.
Mein treuer Gefährte, der Mond, nächtlicher
Empfänger der Sonnenstrahlen, beleuchtet mit
wachsamen Augen die Ruhephase meiner Herrschaft,
lässt Gezeiten entstehen, welche die verspielten
Arabesken in den Sand zeichnen. Auf meinem harmonischen
Schoß findet man alles, was die Lebewesen, die
meine Biosphäre bevölkern, brauchen: Sauerstoff,
Wärme, Licht, Nahrung, Rohstoffe mit denen man
die Reichtümer, die der Mensch heiß begehrt,
erkaufen kann. Ich bin die große NÄHRENDE MUTTER,
die Menschen können nur durch mich, dank meiner
Fruchtbarkeit, existieren, von der sie absolut
alles erhalten.
Aber, ach! Es kommt eine Zeit, in der die glücklichen
Tage vergehen, das Sonnenlicht erlischt langsam
und die Wärme wird schwächer, bald herrschen
Kälte und Nahrungsmangel. Die Situation wird
immer dramatischer und da es unter den Menschen
keine Liebe gibt, sondern sie sich vielmehr
auf ein auf Luxus basierendes Wertsystem eingelassen
haben, bestehlen und töten sie ihre Artgenossen,
um überleben zu können; man befürchtet das Allerschlimmste,
das Ende der Welt scheint nahe.
Wehrlos und tief betrübt in der Schwärze des
Äthers, seit endlosen Zeiten für das Leben verantwortlich,
kann ich, die Erde gegenüber dem Versinken meiner
Kinder in die rauhe Leere der neuen Realität,
nicht gleichgültig bleiben Es muss gehandelt
werden, damit sich der Verlauf der Ereignisse
ändert.
Ich habe eine Idee, ich werde den Kosmos um
Hilfe bitten. Besondere Wesen mit eigenem Leben,
die den unermesslichen Raum bevölkern. Diese
beraten die Angelegenheit und entscheiden zuerst
einmal mich, die Erde zu prüfen, um herauszufinden,
ob ich es wert bin, dass ich und das Leben auf
mir beschützt wird.
- Warum ermöglichst du Erdbeben? fragt Jupiter,
dem aus dem Zenit der Galaxie von seinen sieben
Satelliten beigestimmt wird.
- Weil ich vor Zorn erzittere, wenn ich sehe,
wie vorherrschende Interessen geldgieriger Machthaber
die Grundkenntnisse der menschlichen Natur durch
eine ungeeignete Kultur ersetzt haben, die Mangel
an empirischer Verwirklichung und Leid mit sich
bringt.
- Warum verursachst du Überschwemmungen, die
töten und zerstören?
- Weil die Menschen meine Gewässer mit Abfällen
und chemischen Produkten vergiften und um ihnen
bewusst zu machen, dass meine Reichtümer nicht
ihr Eigentum, sondern nur eine Leihgabe sind.
Der Planet Erde ist und bleibt das Erbgut des
Universums.
- Aus welchem Grund lässt du Vulkane ausbrechen
und Taifune entstehen?
- Um das Böse in positive Energie umzuwandeln,
damit die Menschen wieder das Gute als Fundament
ihrer Existenz betrachten, indem sie die menschlichen
und irdischen Werte als eine einzige vielfältige
Grundlage ansehen.
- Warum verursachst du Blitze, die verbrennen?
- Damit meine Eingeweide nicht durch die Entnahme
von Öl, Kohle, Mineralien und Steinen so entleert
werden, dass die natürliche Ordnung durcheinander
gerät und diversen Manipulationen und den daraus
folgenden Schäden für das irdische Gleichgewicht
Einhalt geboten wird.
Die Wesen des Raumes, tugendhaft und zart in
ihrer Größe, beraten sich lange mit unendlicher
Geduld, sie kommen zu dem Schluss, dass die
Erde treu ihre Mission erfüllt habe, und wenn
sie ihre Kräfte zu manchen Gelegenheiten entflammt
hat, war sie dazu nur durch die zerstörerischen
Aktivitäten, der durch Ehrgeiz und Hochmut verblendeten
Menschen, gezwungen.
Nach gemeinsamen Beratungen antwortet Jupiter
in seiner kosmischen Größe: Wir werden dabei
helfen, dass deine irdischen Kräfte einen anderen
Solarstern anziehen, dessen Energie wird dir
zusätzliche Mittel für deine Mission zur Verfügung
stellen. Zeuge dieses Aktes wird das unerforschte
Universum mit all seinen Sternen und Planeten
sein.
Als dies geschieht, hat die Menschheit bereits
ihrerseits erkannt, wie nahe sie ihrer Vernichtung
gekommen war und dass die Zunahme von Licht
und Wärme Rettung bedeuten könnte. Sie sieht
die ungeheuren Fehler in ihrer Lebensauffassung
ein und sie fühlt sich endlich als EINS MIT
DER NATUR, als wesentlicher Teil der Erde und
auch des Kosmos. Die Menschen ändern ihre Einstellung
zu Werten und beginnen eine neue Ära, in der
sie meine Gaben mit Mäßigkeit genießen und sich
voll und ganz einbringen, damit alle in Zukunft
endlich verstehen, dass ein Lebewesen nicht
glücklich sein kann, wenn ein anderes leidet.
Geliebt und respektiert erfreut sich die MUTTER
ERDE nun wieder an dem ewig währenden Tag-Nacht-Spiel,
indem sie, nach kosmischem Plan, sich um sich
selbst drehend, die neue Sonne umkreist, gefolgt
von ihrem treuen Gefährten, dem Mond, und uns
allen zugetan ist, bis tief in ihr feuriges
Herz.
Quelle:
Maria Antonia Romero Durán: Relatos que molan,
Editorial Visión Net, Madrid